Labusch, Birgit | Krause, Melanie Ute |
Smidtstr. 5, 2000 Hamburg 26 | Gebrüderstr. 3, 2202 Barmstedt |
Tel.:040/202838 | Tel.:04123/1343 |
Informatik, Matr.-Nr.:4174986 | Volkswirtschaftslehre, Matr.-Nr.:4337796 |
5.Semester | 3. Semester |
II. Bilanzanalyse als Mittel der Kreditwürdigkeitsprüfung
Teil B: Techniken der Bilanzanalyse
Teil C: Aufbereitung des Zahlenmaterials der Bilanzanalyse
I. Aufbereitung der Aktivseite
II. Aufbereitung der Passivseite
Teil D: Bilanzkritik: Finanzwirtschaftliche Analyse
Teil E: Bilanzkritik: Analyse des Erfolges
I. Ergebnisanalyse in absoluten Zahlen
Teil F: Probleme der Bilanzanalyse
Voraussetzung für
die Vergabe eines Kredites seitens einer Bank ist die Prüfung der
Kreditwürdigkeit des Antragstellers. Diese Prüfung erfolgt mit
Hilfe von Bilanzen, da in der Regel der Jahresabschluß dem Kreditgeber
als Hauptinformationsquelle nach §242 HGB zur Verfügung steht.
Es empfiehlt sich, weitere Informationsquellen wie Geschäftsberichte, Hauszeitungen, Schriften der zuständigen Fachverbände und Körperschaften oder sonstige Quellen (Fachpresse, Börsenhandbücher, Konjunkturberichte) zu nutzen. Untersucht wird, ob der nachgesuchte Kredit voraussichtlich fristgerecht verzinst und getilgt werden kann. Dabei sollten auch die Besonderheiten des zu analysierenden Unternehmens beachtet werden. Ziel ist es, die Gefahr der Illiquidität zu erkennen und damit das Kreditrisiko zu verringern.
Unterschieden werden muß
zwischen kurzfristiger und langfristiger Kreditgewährung. Die Geber
kurzfristiger Kredite sind daran interessiert, Liquidations-, Vermögens-
und Kapitalstruktur einzuschätzen. Bei der langfristigen Kreditvergabe
sind besonders die Zukunftsaussichten, die Ertragskraft und die Rentabilität
von Bedeutung.
Die kritische Beurteilung
und wirtschaftliche Auswertung der Bilanz wird in der Literatur allgemein
als Bilanzanalyse bezeichnet.
"Zweck der Bilanzanalyse ist es [..], durch Aufbereitung des Jahresabschlusses Indizien für die künftige Entwicklung der Unternehmung, insbesondere ihre Rentabilität und Liquidität, zu gewinnen." [Leffson, Seite 28]
Ausgangspunkt der Bilanzuntersuchung ist die statische Bilanzanalyse.
Eine weitere Möglichkeit besteht im Betriebs- oder Branchenvergleich oder auch im Zeitvergleich, wobei die formale und materielle Bilanzkontinuität und die Bilanzstetigkeit Voraussetzungen sind.
Nach der Prüfung der
Übereinstimmung des Jahresabschlusses mit den gesetzlichen Vorschriften
durch den Abschlußprüfer (formale Bilanzanalyse), beginnt der
Kreditsachbearbeiter mit der materiellen Bilanzanalyse. Weiterhin sind
die Instrumente seiner Bilanzanalyse zu untersuchen.
Zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit
kann der Kreditgeber auch eine Kreditbilanz heranziehen. "In der Kreditbilanz
soll das aufzustellende und zu beurteilende Bild unmittelbar auf den Zusammenhang
mit dem Kreditantrag abzielen." [Weichner, S.155]
So beinhaltet sie z.B. das Vermögen als Deckungsmasse, die Zusammensetzung
und Höhe bereits eingegangener Verpflichtungen, die Bildung stiller
Reserven und die wirkliche Höhe des Eigenkapitals. Hierbei muß
beachtet werden, daß das Interesse des Aufstellers, nämlich
den gewünschten Kredit zu erhalten, das Aussehen des Kreditstatus
beeinflußt.
Ein weiteres Instrument
zur Auswertung der Bilanz ist die Bildung von Kennzahlen, die sich im folgenden
einzig als relevant erweisen wird. Ihre Bedeutung liegt darin, daß
Sachverhalte auf eine einzige Zahl komprimiert werden und so wichtige Tatbestände
sichtbar machen.
Es gibt verschiedene Kennzahlenarten: Grundzahlen oder absolute Zahlen werden direkt aus der Bilanz entnommen. Da sie nur begrenzte Aussagekraft besitzen, werden häufiger Verhältniszahlen verwendet.
Vor der Kennzahlenbildung
muß zunächst das vorliegende Zahlenmaterial durch Aufspaltung
und Richtigstellung aufbereitet werden.
So kann man sagen, daß z.B. durch die Aufdeckung stiller Reserven die Aktivseite verlängert wird und auf der Passivseite die stillen Reserven dem Eigenkapital zugerechnet werden. Im Rahmen der Bewertung der Vorräte besteht für das Unternehmen die Möglichkeit, stille Reserven zu bilden. Bei Bestimmung des Wertansatzes der Vorräte nach dem Verbrauchsfolgeverfahren muß der mögliche Unterschiedsbetrag zwischen dem bilanzierten Wert und dem Börsen- oder Marktpreis nach $284 HGB im Anhang angegeben werden. Dieser Betrag kann also als stille Reserve berücksichtigt werden.
Bei der Position "Ausstehende Einlagen auf das gezeichnete Kapital" wird die Bilanz in einer anderen Form aufbereitet. Überbewertungen nämlich verringern die Aktivseite und werden auf der Passivseite vom Eigenkapital abgezogen.
Die von den Gesellschaftern zwar gezeichneten, aber noch nicht voll eingezahlten Anteile tragen nicht zum Erfolg des Unternehmens bei, dienen aber als Haftungskapital für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (es wird hier von der Kapitalgesellschaft als Kreditsteller ausgegangen, da deren Jahresabschluß ohne Schwierigkeiten verfügbar ist).
Folglich können derartige
ausstehende Einlagen auf das gezeichnete Kapital als eine Wertberichtigung
zum Eigenkapital mit diesem saldiert werden. Hieraus ergibt sich eine Bilanzverkürzung.
Die Passiva werden unter
dem Gesichtspunkt der Zugehörigkeit zum Eigen- oder Fremdkapital und
nach der Fristigkeit geordnet. Folgende Aufbereitungsmaßnahmen sind
erforderlich: Um den Gesamtbetrag des Eigenkapital zu ermitteln, sind der
Gewinn- bzw. Verlustbetrag mit dem des Eigenkapitals zu saldieren. Der
Jahresüberschuß wird dem Eigenkapital zugerechnet, wenn noch
keine Entscheidung über die Gewinnverwendung erfolgt ist. Ist hingegen
bekannt, wie der Überschuß auf Rücklagen und Ausschüttungen
verteilt werden soll, zählt nur der in die Rücklage einzustellende
Betrag zum Eigenkapital. Der zur Ausschüttung vorgesehene Betrag wird
den kurzfristigen Verbindlichkeiten zugerechnet. Der Sonderposten mit Rücklageanteil
wird je zur Hälfte dem Eigenkapital und den mittelfristigen Verbindlichkeiten
zugeordnet. Mindernd wirken sich - wie im Kapitel Aufbereitung der Aktivseite
teilweise erläutert - die ausstehenden, nicht eingeforderten Einlagen,
aktivierte Bilanzierungshilfen, aktiviertes Disagio und unterlassene Pensionsrückstellungen
aus. Die Struktur des Fremdkapitals wird durch eine weitere Aufgliederung
der Verbindlichkeiten und eine Unterteilung der Rückstellungen sichtbar
gemacht. Es wird hinsichtlich seiner Fristigkeit, seiner Sicherheit (Verbindlichkeit)
oder Unsicherheit (Rückstellungen) und seiner besonderen rechtlichen
Sicherung aufbereitet. Bei den Rückstellungen ist es notwendig, diese
nach ihrer Restlaufzeit unter den Positionen des kurz-, mittel- oder langfristigen
Fremdkapitals zu erfassen.
Sobald die Aufbereitung
des Zahlenmaterials erledigt ist, steht dem Bilanzbeurteiler ein Material
zur Verfügung, das es ihm ermöglicht, die Unternehmensverhältnisse
gut zu überblicken; soweit das auf der Grundlage des Jahresabschlusses
überhaupt erreicht werden kann.
Zunächst sollen Kenntnisse über die finanzielle Stabilität des zu beurteilenden Unternehmens durch eine Untersuchung der Vermögensstruktur gewonnen werden. Die Untersuchung dient dazu, Vorstellungen von der Art und der Zusammensetzung des Vermögens, sowie über die Dauer der Vermögensbindung zu erlangen. Es soll festgestellt werden, mit welcher Geschwindigkeit die Vermögensgegenstände durch den Umsatzprozeß wieder zu Geld werden. Ist das Kapital zu lange gebunden, droht die Gefahr der Illiquidität und die Unternehmensleitung ist nicht in der Lage, sich flexibel an Beschäftigungs- und Strukturänderungen anzupassen. Die folgenden Kennzahlen[Olfert et al. und Gräfer] der Vermögensstruktur sind die wichtigsten:
Anlageintensität = ( Anlagevermögen : Gesamtvermögen ) * 100.
Je kleiner der Anteil des Anlagevermögens am Gesamtvermögen ist, um so besser ist die Kapazitätsausnutzung und dies führt zu einer positiven Beurteilung der finanziellen Stabilität des Unternehmens. Der Aussagegehalt muß jedoch eingeschränkt werden, denn zwischenbetriebliche Vergleiche sind wegen unternehmensindividueller und branchenbezogener Einflüsse nicht durchführbar. Eine detailliertere Investitionsanalyse mittels weiterer Kennzahlen erweist sich deshalb als notwendig. Die Umschlagskoeffizienten lassen genauere Schlüsse über die Bindungsdauer des Vermögens zu und geben damit Hinweise auf den Kapitalbedarf. Der Gesamtkapitalumschlag wird berechnet als
(Umsatz : Gesamtkapital) * 100.
All diese Umschlagskoeffizienten sind Kennzahlen, die durch die Inbeziehungsetzung von Bestandsgrößen mit den damit zusammenhängenden Stromgrößen gebildet werden. Als Bestandsgrößen werden verschiedene Vermögenspositionen herangezogen. Je häufiger z.B. der Warenbestand umgesetzt wird, desto besser wird das Vermögen genutzt. Die Bildung von Umschlagskoeffizienten ist in zweifacher Weise möglich:
Es kann entweder die Umschlagshäufigkeit als Abgang der Periode in Relation zum durchschnittlichen Bestand der Periode oder die Umschlagsdauer in Tagen ermittelt werden. Sie gibt dann an, wie lange eine Vermögensposition im Umsatzprozeß gebunden ist. Von Wichtigkeit im Rahmen der Investitionsanalyse ist auch, das Verhalten des Unternehmers als Investor zu beurteilen.
Die Investitionsquote
(Nettoinvestitionen bei Sachanlagen : Anfangsbestand der Sachanlagen) * 100
gibt Aufschluß darüber, welche Investitionsneigung in einem Unternehmen besteht.
Die Kennzahl
Investitionsdeckung = (Abschreibungen auf Sachanlagen : Zugänge an Sachanlagen) * 100
zeigt, ob und in welchem
Umfang Anlagenzugänge aus Abschreibungen finanziert werden. Liegt
die Investitionsdeckung über 100%, dann wurden die Abschreibungen
nicht voll reinvestiert; bei einem Wert unter 100% liegt die Quote der
Reinvestition über den Abschreibungen. Der Kreditgeber kann damit
beurteilen, welche Investitionspolitik in dem Unternehmen vorherrscht.
In einem zweiten Schritt
muß sich der Kreditgeber Informationen über die Zusammensetzung
des Kapitals nach Art, Sicherheit und Fristigkeit verschaffen. Er hat zu
prüfen, ob die Finanzierung als angemessen gelten kann. Die Kapitalstruktur
zeigt nun an, in welchem Maß das Unternehmen mit Eigenkapital und
Fremdkapital finanziert ist.
Gemessen wird sie durch die Kennzahl
Eigenkapitalquote = (Eigenkapital : Gesamtkapital) * 100.
Generell kann gesagt werden, daß das Unternehmen um so solider finanziert ist, je höher der Eigenkapitalanteil ist. Da für das Eigenkapital keine Annuität, d.h. weder Zins noch Tilgung aufgebracht werden muß, stellt es ein "Verlustauffangpolster" dar. Es ist unkündbar und steht damit dem Unternehmen langfristig zur Verfügung. Ein hoher Eigenkapitalanteil garantiert der Unternehmensleitung Dispositionsfreiheit, schützt vor Unternehmenszusammenbrüchen in Folge von Überschuldung, vermindert das Risiko für die Gläubiger, stellt somit eine gute Grundlage für neue Kreditaufnahmen dar und reduziert die Gefahr kurzfristiger Liquiditätsengpässe.
Schließlich sollte die Relation Eigenkapital : Fremdkapital auch vom Standpunkt der Möglichkeit, neue Kredite zu beschaffen, gesehen werden. Wenn bereits ein großer Anteil fremder Mittel vorhanden ist, werden weitere Kreditverhandlungen erschwert.
Auf das Verhältnis der beiden Gruppen wirkt eine Fülle von Umständen ein; entscheidend ist z.B. die Kostenfrage. Die Grenze ist dort, wo die höchste Rentabilität des Eigenkapitals zu erwarten ist. "Wenn der zu erwirtschaftende Gewinn höher ist als der für die Mittelaufbringung geforderte Zins, ist Fremdkapitalaufnahme lohnend und berechtigt." [Weichner, Seite 5 und 198]
Neben der i.a. üblichen Eigenkapitalquote kann der gleiche Sachverhalt auch durch Verschuldungsgrad und Kapitalstruktur ausgedrückt werden:
Verschuldungsgrad = (Fremdkapital : Eigenkapital) * 100 ,
Kapitalstruktur = (Eigenkapital : Fremdkapital) * 100.
Als Faustregel gilt, daß das Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital 2:1 sein sollte! Dabei sollte allerdings beachtet werden, daß Faustregeln allenfalls als eine Orientierung an Tendenzen angesehen werden können.
Eine ausreichende Beurteilung der Kapitalstruktur ist erst gegeben, wenn bekannt ist, über welche Zeiträume das Fremdkapital verfügbar ist. Es muß zwischen kurzfristigen (bis zu einem Jahr), mittelfristigen (zwischen einem und fünf Jahren) und langfristig fälligen (mehr als fünf Jahre) Verbindlichkeiten unterschieden werden. Weitere Relationen können also gebildet werden:
Neben der Fristigkeit sind auch die Verzinsung, die steuerliche Absetzbarkeit, eine eventuelle Einflußnahme auf die Geschäftsführung und die Kapitalsicherung bei der Analyse zu berücksichtigen. Es soll noch eine weitere aufschlußreiche Kennzahl angesprochen werden:
Der Bilanzkurs = (Eigenkapital : Grundkapital) * 100.
Im Vergleich mit dem Börsenkurs
der Aktie kann offengelegt werden, in welchem Umfang Faktoren den Wert
einer Unternehmens verändern, die nicht aus der Bilanz ersichtlich
sind, beispielsweise die stillen Reserven und der Goodwill des Unternehmens.
Neben der vertikalen
Bilanzanalyse ist auch ein weiterer Ansatzpunkt denkbar, nämlich die
horizontale Bilanzanalyse. Die Mittelverwendung wird nun in die šberlegungen
mit einbezogen und es sollen Zusammenhänge zwischen Mittelherkunft
und Mittelverwendung aufgezeigt werden. Der Kreditgeber hat sich zu fragen,
wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, daß es zur Zahlungsunfähigkeit
kommt und welche Finanzmittel zur Schuldentilgung verfügbar sind,
falls das Unternehmen tatsächlich liquidiert wird. Die Liquiditätsanalyse
kann als statische oder dynamische Analyse durchgeführt werden.
Die statische Liquiditätsanalyse kann noch unterschieden werden in eine lang- und kurzfristige. Im Rahmen der langfristigen Liquiditätsanalyse sollen die traditionell verwendeten Deckungsgrade dargestellt werden:
Deckungsgrad I = (Eigenkapital : Anlagevermögen) * 100
Deckungsgrad II = ([Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital] : Anlagevermögen) * 100.
Nach der "goldenen Bankregel" sollen Deckungsgrad I oder - in ihrer modifizierten Form - Deckungsgrad II größer oder gleich 100% sein. Dies entspricht dem Grundsatz der Fristenkongruenz, nach dem sich bei der Finanzierung einer Investition Laufzeit der Finanzierung und Nutzungsdauer der Investition entsprechen sollen. Die Forderung Deckungsgrad I > 100% kann übertrieben sein; sie wird in der Regel auch nicht erfüllt. Im allgemeinen reicht es aus, wenn der Deckungsgrad II 100% erreicht bzw. übersteigt; bedenklich ist es allerdings, wenn auch diese Bedingung nicht eingehalten wird.
Bei der kurzfristigen Liquidationsanalyse bedient man sich der Liquiditätsgrade:
Liquidität 1.Grades = (liquide Mittel : kurzfristige Verbindlichkeiten) * 100.
Zu den liquiden Mitteln zählen dabei Barmittel, Bankguthaben und Schecks, sowie die jederzeit veräußerbaren Wertpapiere des Umlaufvermögens. Kurzfristiges Fremdkapital beinhaltet Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, Schuldwechsel, Schulden bei Kreditinstituten, erhaltene Anzahlungen und Dividenden, wenn diese Positionen innerhalb von drei Monaten fällig werden. Die Aussagefähigkeit dieser Kennzahl ist relativ gering, da es keine Normvorstellungen gibt. Aufgrund dieser begrenzten Aussagekraft wird der Nenner auf das gesamte Finanz-Umlaufvermögen ausgedehnt und die Liquidität 2.Grades errechnet:
Liquidität 2.Grades = (Finanz-Umlaufvermögen : kurzfristige Verbindlichkeiten) * 100
Liquidität 3.Grades = (Umlaufvermögen : kurzfristige Verbindlichkeiten) * 100.
Die Forderung Liquidität 2.Grades > 100% hat in der Praxis Bedeutung, obwohl auch sie kaum aussagefähig ist. Die Forderung Liquidität 3.Grades > 100% sollte aber stets erfüllt sein.
Gegen die Aussagekraft der Liquiditätskennziffern werden folgende Einwände erhoben: Zum einen sind die Kennzahlen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie nach Vorlage der Bilanz aufgestellt werden können, längst überholt, da sie eine Bestandsrechnung zu einem bestimmten Stichtag darstellen und wegen dieser Zeitpunktbetrachtung relativ leicht manipulierbar sind und zum anderen ist für die Einordnung in die Bilanz die Fristigkeit, d.h. die Gesamtlaufzeit, maßgeblich. Im Gegensatz dazu ist für die Liquidität die Fälligkeit, d.h. die Restlaufzeit, entscheidend.
Weiterhin sind aus den drei Kennzahlen Ein- und Auszahlungsströme nicht erkennbar. Künftige, noch nicht als Zahlungsverpflichtungen entstandene Zahlungen werden nicht berücksichtigt, so z.B. künftige Lohnzahlungen. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben Kreditspielräume, obwohl auch sie Liquidität darstellen. Die Zahlungsfähigkeit kann daher mit den Liquiditätskennziffern nicht beurteilt werden. Da ihnen aber in der Praxis Bedeutung beigemessen wird, bemühen sich Unternehmen trotzdem um positive Liquiditätskennziffern.
Die stromgrößenorientierte
Liquiditätsanalyse geht nun der Frage nach, welche Finanzmittel aus
dem Betriebsprozeß erwirtschaftet und wie diese verwendet werden.
Es wird zwischen zwei Verfahren unterschieden: Die Cash-Flow-Analyse und
die Kapitalflußrechnung. Unter dem Cash-Flow versteht man die Differenz
von einnahmegleichen Erträgen und ausgabegleichen Aufwendungen. Diese
Berechnung führt allerdings zu Schwierigkeiten und wird deshalb wie
folgt angenommen:
|
Es werden also zum Jahresüberschuß ausgabelose Aufwendungen addiert und einnahmelose Erträge subtrahiert.
Der Cash-Flow ist somit Maßstab für die Selbstfinanzierungsfähigkeit, Expansionsfähigkeit ohne fremde Mittel, Liquidität und Erfolg. Zudem geben die im Cash-Flow enthaltenen Posten an, in welchem Maß das Unternehmen fähig ist, Schulden zu tilgen und Zinsverbindlichkeiten zu erfüllen. Somit ist diese Kennzahl ein besonders geeignetes Mittel zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit.
Im folgenden wird das zweite Verfahren der dynamischen Liquiditätsanalyse erläutert: die Kapitalflußrechnung. Hier werden Mittelverwendung und Mittelherkunft in Form einer Bewegungsbilanz einander gegenübergestellt. Ihre Aufgabe ist es, Vermögens- und Kapitalbewegungen darzustellen und sie stellt - ebenso wie der Cash-Flow - ein Mittel zur Beurteilung der Liquidität dar.
Die Bewegungsbilanz entsteht
durch Saldierung von zwei aufeinanderfolgenden Bilanzen. Die Saldi der
Bilanzbestände werden nach den Kriterien Mittelherkunft (Verminderung
der Aktiva und Erhöhung der Passiva), sowie Mittelverwendung (Erhöhung
der Aktiva und Verminderung der Passiva) geordnet. Die Kapitalflußrechnung
kann nach folgendem Schema erfolgen:
|
Es muß aber beachtet
werden, daß die Positionen bewertungs-, stichtagsabhängig und
vergangenheitsorientiert sind. Weiterhin werden nur die Veränderungen,
nicht aber die Entwicklung, sichtbar. Einige Bewegungen können auch
z.T. keine Zahlungsvorgänge sein, sondern nur buchmäßige
Bewertungsänderungen.
Im Mittelpunkt der Kreditwürdigkeitsprüfung
steht für die Fremdkapitalgeber die Analyse des Erfolges zur Beurteilung
der Ertragskraft. Die Ertragskraft steht für die Fähigkeit einer
Unternehmung, in der Zukunft nachhaltig Gewinne zu erzielen.
Zunächst muß die
gegenwärtige Ertragslage erkannt werden, indem die Angaben im Jahresabschluß
soweit wie möglich von bilanzpolitischen, handels- und steuerrechtlichen
Einflüssen bereinigt werden. Dann müssen die Erfolgskomponenten
Ertrag und Aufwand untersucht werden, um übermäßig hohe
Aufwandspositionen und schwache oder besonders ergiebige Ertragspositionen
ausfindig zu machen. Schließlich müssen Rückschlüsse
von der gegenwärtigen Gewinnlage auf die zukünftigen Gewinnaussichten
gezogen werden. Das grundlegende Informationsmaterial für die Analyse
der Ertragslage liefert die Gewinn- und Verlustrechnung, in der der Jahresüberschuß/Jahresfehlbetrag
als Saldo aller Aufwendungen der Abrechnungsperiode (Gesamtkostenverfahren)
ausgewiesen wird.
In einer Ergebnisquellenanalyse
sollen nun die Komponenten des Gesamtergebnisses offengelegt werden. Es
muß festgestellt werden, in welchem Maß das Ergebnis aus dem
eigentlichen Betriebszweck oder aus betriebsfremden Aktivitäten resultiert.
Der außerordentliche Erfolg erfaßt dagegen Erträge und
Aufwendungen, die nach Art und Höhe ungewöhnlich sind und unregelmäßig
anfallen.
Im folgenden wird das ordentliche Betriebsergebnis, das betriebsfremde und das außerordentliche Ergebnis dargestellt:
"Das ordentliche Betriebsergebnis umfaßt die regelmäßig anfallenden Aufwendungen und Erträge aus der Erzeugung und dem Vertrieb der vom Unternehmen im Rahmen ihres jeweiligen Geschäftszweiges erzeugten und gelieferten Produkte."[Coenenberg, Seite 682]
Dies ergibt sich aus den
folgenden Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung, wobei zwischen Gewinn-
und Verlustrechnung nach Gesamt- und Umsatzkostenverfahren unterschieden
werden muß.
|
Ordentliches Betriebsergebnis nach Umsatzkostenverfahren siehe Tabelle 4.
Zu einigen Positionen sind Erklärungen notwendig.
Die erste Position "Umsatzerlöse"
ist eindeutig dem ordentlichen Betriebsergebnis zuzuordnen, da nur die
Erlöse ausgewiesen werden, die der eigentlichen Betriebsleistung der
Unternehmung entsprechen (§277 Abs.1 HGB). Die "sonstigen betrieblichen
Erträge" stellen eine Problemposition dar, weil in ihnen Bestandteile
aller drei Erfolgsquellen vermischt enthalten sein können. Besonders
berücksichtigt werden muß, daß ein Teil der Aufwendungen,
insbesondere in den Herstellkosten und im "sonstigen betrieblichen Aufwand",
durch handelsrechtlich zulässige oder steuerlich gebotene Maßnahmen
entstanden sind. Es handelt sich somit um stille Reserven. Liefert der
Jahresabschluß entsprechende Informationen, wird der Bewertungsaufwand
vom Betriebsaufwand abgezogen und damit das ordentliche Betriebsergebnis
erhöht. Beispiele sind steuerliche Sonderabschreibungen oder außerplanmäßige
Abschreibungen.
|
Die Komponenten des betriebsfremden
Ergebnisses sind nun die folgenden:
|
Es stellt sich die Frage, ob die Zinsaufwendungen nicht eher im ordentlichen Betriebsergebnis erfaßt werden müssen. Dafür spricht, daß diese Aufwendungen in engem Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit stehen. Dagegen spricht, daß es für die Beurteilung des Unternehmens mit Hilfe des Betriebs- oder Branchenvergleichs aber zweckmäßig ist, die Einflüsse auf das Ergebnis, die von der Finanzierungsart ausgehen, zu isolieren.
Das außerordentliche
Betriebsergebnis kann wie folgt zusammengefaßt werden:
|
I. 2. Analyse der Aufwands- und Ertragsstruktur
Für die Beurteilung der nachhaltigen Ertragskraft ist das ordentliche Betriebsergebnis eine besonders relevante Größe. Um Schlüsse auf die zukünftige Entwicklung zu ziehen, ist es notwendig, festzustellen, in welchem Maße sich die einzelnen Positionen verändern. Dazu werden die wichtigsten Aufwands- und Ertragsarten ins Verhältnis zu ihren Bezugsgrößen gesetzt.
Um den Einfluß einzelner Aufwandsarten für das Betriebsergebnis zu verdeutlichen, werden sogenannte Intensitätskennzahlen gebildet. Bei Anwendung des Gesamtkostenverfahrens werden die Kennzahlen Material-, Personal- und Kapitalintensität gebildet.
Materialintensität = (Materialaufwand : Gesamtleistung) * 100.
Gleiche Entwicklungen in mehreren Betrieben weisen auf veränderte Beschaffungspreise hin.
Das zeigt, daß eine Urteilsfindung nur bei Betrachtung mehrerer Betriebe sinnvoll ist.
Personalintensität = (Personalaufwand : Gesamtleistung) * 100.
Der Personalaufwand umfaßt Löhne, Gehälter, soziale Abgaben und Aufwendungen für Altersversorgung und Unterstützung. Dieser Größe wird aufgrund steigender Personalkosten heutzutage immer größere Bedeutung beigemessen. Überproportionale Steigerungen sind als Vorsorge zu werten, wenn Einstellungen in Pensionsrückstellungen nachgeholt werden.
Kapitalintensität = (Abschreibungsaufwand : Gesamtleistung) * 100.
Der Quotient ist ein Maßstab für die Wirtschaftlichkeit des eingesetzten Sachanlagevermögens. Er ist insofern schwierig zu ermitteln, da der Abschreibungsaufwand durch bilanzpolitische Maßnahmen stark verfälscht sein kann.
Bei Anwendung des Umsatzkostenverfahrens dagegen können die Kosten der einzelnen Funktionsbereiche in Relation zum Umsatz gesetzt werden. Mögliche Intensitätskennzahlen sind
die Herstellungsintensität = (Herstellkosten : Umsatz) * 100
und die Vertriebsintensität = (Vertriebskosten : Umsatz) * 100.
Beachtet werden muß aber, daß z.B. bei einer immer kleiner werdenden Vertriebsintensität Marketingaktivitäten die Ursache sein können.
Bei der Struktur des Ertrages gilt als informative Kennzahl die
Umsatzdominanz = (Umsatz : Gesamtertrag) * 100.
Wenn eine dieser Aufwands-
oder Ertragsarten im Verhältnis zur Bezugsgröße überproportional
steigt, muß untersucht werden, ob sich die Wirtschaftlichkeit verschlechtert
hat oder ob Preissteigerungen die Ursachen sind. Im letzten Fall muß
analysiert werden, ob derartige Steigerungen durch Senkungen in anderen
Bereichen kompensiert werden konnten. So kann der Bilanzprüfer schnell
erkennen, inwieweit das Unternehmen selbständig auf diese externen
Einflüsse reagiert.
Da nun bei der Beurteilung
eines Unternehmens die Ertragslage mit dem Branchendurchschnitt oder mit
der anderer gleichartiger Unternehmen verglichen wird, sollte die Erfolgsgröße
in Relation zu Bezugsgrößen angegeben werden, um einen angemessenen
Soll-Ist-Vergleich zu ermöglichen.
Dies geschieht bei der Rentabilitätsanalyse. "[...]Bei [der] Kreditgewährung durch Banken [...] [muß] darauf geachtet werden [..], daß die Rentabilität nicht unter jene Grenze sinkt, die zur Kostendeckung, zur Sicherung der Wertbeständigkeit der Kapitalanlagen und zur Sicherung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes erforderlich ist [...]." [Mayer et al., Seite179]
Anhand der Eigenkapitalrentabilität = (Jahresüberschuß : Eigenkapital) * 100 kann der Analytiker im Betriebs- oder Branchenvergleich erkennen, in welcher Lage - gemessen an Vergleichsobjekten - sich das betrachtete Unternehmen in bezug auf die Rentabilität des Eigenkapitals befindet. Die Verzinsung des eingesetzten Gesamtkapitals drückt die
Gesamtkapitalrentabilität = ([Jahresüberschuß+Fremdkapitalzinsen] : Gesamtkapital) * 100
aus. Durch die Berücksichtigung von Fremdkapitalzinsen werden die Einflüsse unterschiedlicher Finanzierungen beim Branchen- oder Betriebsvergleich ausgeschaltet.
Weiterhin kann es sinnvoll sein, die Einflüsse des neutralen Ergebnisses auszuschließen. Hierzu kann die Betriebsrentabilität berechnet werden:
Betriebsrentabilität = (ordentlicher Betriebserfolg : betriebsnotwendiges Vermögen) * 100.
Das betriebsnotwendige Vermögen
wird nach folgendem Schema errechnet, da hierzu keine Angaben in der Bilanz
vorhanden sind:
|
Die Umsatzrentabilität = (ordentlicher Betriebserfolg : Umsatzerlöse) * 100 kann Aufschluß über die Gewinnspanne eines Unternehmens geben. Verringert sich diese, kann dies ein Indikator für eine allgemein ungünstige wirtschaftliche Entwicklung als auch für eine schlechte Geschäftspolitik sein.
Um die Zusammenhänge zwischen den verwendeten Rentabilitätskennziffern deutlich zu machen, kann auch ein Kennzahlensystem der Analyse dienen. Erwähnt sei nur der "Return on Investment" (ROI):
ROI = ([Gewinn * Umsatz] : [Umsatz * investiertes Kapital]) * 100
ROI = Umsatzrentabilität * Umschlagshäufigkeit des investierten Kapitals.
Der ROI gibt Auskunft darüber,
ob eine Veränderung der Gesamtkapitalrentabilität auf einer Veränderung
der Umsatzrentabilität oder des Kapitalumschlages beruht.
Nachdem sich der Prüfer
ein Bild von der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage machen konnte,
muß er sich auch des Risikos von Fehlurteilen bewußt werden.
Das Informationsmaterial eines externen Analytikers ist begrenzt. Angaben
über nicht quantifizierbare Daten fehlen; so kann z.B. für die
Beurteilung eines Unternehmens die Qualität des Managements, das Image
der Unternehmung oder auch das technische Know-How eine bedeutende Rolle
spielen. Desgleichen fehlen Kenntnisse über vorhandene Kreditreserven,
Auftragsbestände, Sicherungsübereignungen, Eigentumsvorbehalte,
Aktivitäten im Bereich der Forschung und Entwicklung, Werbemaßnahmen,
Investitionen in die Ausbildung der Mitarbeiter, Erweiterungen oder Verbesserungen
des Produktions- und Absatzprogrammes, sowie weitere Maßnahmen, die
wegen des Aktivierungsverbotes derartiger Aufwendungen für immaterielle
Vermögensgegenstände nach §248 Abs.2 HGB nicht in der Bilanz
auftauchen dürfen.
Aber auch das dem Bilanzprüfer bereitstehende Material weist gewisse Mängel auf. Die zukünftige Unternehmensentwicklung ist bei der Vergabe von Krediten bedeutungsvoll. Die Daten des Jahresabschlusses beziehen sich aber auf einen abgeschlossenen Zeitraum, sind vergangenheitsorientiert. Angaben über die Zukunft können nur unter der Annahme gemacht werden, daß von der jetzt erkennbaren Ertragslage auf die zukünftige geschlossen werden kann. Zu weiteren Informationen kann der Kreditgeber bei Kapitalgesellschaften gelangen, die gemäß §289 Abs.2 HGB im Lagebericht auf die voraussichtliche Entwicklung eingehen müssen. Schließlich sind die Informationen aber auch erst eine gewisse Zeit nach dem Bilanzstichtag verfügbar und damit zum Analysezeitpunkt oft schon überholt. Sogar die Zahlen selbst können verfälscht sein und Zweifel an der Wahrheit, Klarheit und Richtigkeit der Bilanz aufkommen lassen. "Die Bilanz ist kein eindeutiges Vermögensbild und keine klare Aussage über den betriebswirtschaftlich richtigen Erfolg, sondern ein bewußt beeinflußtes Mittel der Rechnungslegung als Ergebnis vorherrschender bilanzpolitischer Überlegungen." [Weichner, Seite 5 und 138]
So werden nur die Zusammenhänge
am Bilanzstichtag dargestellt, die Kennzahlen spiegeln dabei nur eine Momentaufnahme
wider. Weiterhin sind die Zahlen natürlich bewertungsabhängig.
Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften sowie deren Wahlrechte ermöglichen
den Ansatz der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten zu falschen Werten.
Stille Reserven können z.B. durch die Aktivierung auf Basis der Anschaffungs-
oder Herstellkosten oder durch den Verzicht auf Zuschreibungen gebildet
werden. Bewertungsspielräume können ausgenutzt werden, um das
Jahresergebnis nach Bedarf zu schönen oder zu verschlechtern. Wenn
sich der Kreditgeber bei seiner Kreditwürdigkeitsprüfung dieser
Probleme bewußt ist, kann die Bilanzanalyse ein geeignetes Mittel
zur richtigen Beurteilung der Kreditwürdigkeit sein.
Coenenberg,
Adolf Gerhard, Jahresabschluß und Jahresabschlußanalyse, 10.Auflage,
1988, Landsberg am Lech
Gräfer, Horst, Bilanzanalyse, 4.Auflage, 1988, Herne/Berlin
Leffson, Ulrich, Bilanzanalyse, 3.Auflage, 1984, Stuttgart
Mayer, Leopold/Mayer, Leopold, Bilanz- und Betriebsanalyse, 1960, Wiesbaden
Olfert, Klaus/Körner, Werner/Langenbeck, Jochen, Bilanzen, 5.Auflage, 1989, Ludwigshafen
Weichner, Alfred, Bilanzanalyse und Kreditwürdigkeitsprüfung, 2.Auflage, 1965, Stuttgart