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Lerntheorien

Es gab und gibt in der Psychologie eine Reihe von Lerntheorien. Große Auswirkungen hatte der Behaviorismus, wo versucht wurde, allgemeingültige Gesetze des Lernens auf der Basis streng objektiv beobachtbarer Verhaltensmerkmale aufzustellen. Nach der kognitiven Wende wurden in den Bereichen Wissens- und Denkpsychologie informationstheoretische Ansätze entwickelt, wie z.B. Produktionssysteme, Schemata und Skripte, der Konnektionismus oder Mentale Modelle. Hier dominiert die Idee, neues Wissen müßte nur geeignet strukturiert und repräsentiert werden und dann der lernenden Person dargeboten und von ihr aufgenommen werden. Ursachen von auftretenden Problemen werden in der unpassenden Repräsentation, dem Medium (Lehrbuchdesign) oder beim Lernenden gesucht.

Eine dritte Theorie mit psychologisch-philosophischen Grundlagen ist der Konstruktivismus. Cunningham et al. betonen, daß ``this view holds that instruction is less a process in which knowledge is communicated to learners, and more a matter of nurturing the ongoing processes whereby learners come to understand the world in which they live. In this view, knowledge is an active process of construction, not the receipt of information from external sources.''

Schulmeister beschreibt den Konstruktivismus als ,,eine Theorie der Genese des Wissens von den Dingen, eine genetische Erkenntnistheorie`` und betont wie Cunningham et al. den aktiven Prozeß: ,,Für den Konstruktivismus ist Wissen kein Abbild der externen Realität, sondern eine Funktion des Erkenntnisprozesses. [...] Der Konstruktivismus betont im Gegensatz zum Objektivismus die aktive Interpretation des erkennenden Subjekts, den Prozeß der aktuellen Konstruktion von Bedeutung... .``

Wissen existiert somit nicht unabhängig vom Lerner, wird dynamisch generiert, und kann nicht einfach jemand anderem ohne eigene Rekonstruktion übermittelt werden.

Die Bedeutung des Erkenntnisprozesses für das Lernen führt zu einem weiteren Merkmal. Lernen entwickelt sich aus Handeln, und Handeln vollzieht sich in sozialen Situationen. Lernen ist somit situativ und kontextuell gebunden. Bezeichnungen wie ,,situated learning`` oder ,,situated cognition`` tragen dem Rechnung.

Erkennen findet sogar nicht nur in einem Kontext, sondern mit Objekten des Kontextes statt: ``It's not just that agents (whether human or computational) depend on the surrounding context in a variety of ways [...] but rather that people rely on the context to do part of the work. They actively use aspects of the surrounding situation to calculate and support action in ways that suggest that they are not representing all relevant aspects of the situation at hand'' .

Es kann hier nicht auf die Argumente für oder gegen eine der Lerntheorien eingegangen werden. Wir halten aber die beim Konstruktivismus zentralen Teile des individuellen aktiven Lernprozesses, der Situativität und der Lerngemeinschaft für wichtige Merkmale der von uns beabsichtigten Lernsituation, nämlich von Arbeit in Projekten und Übungsgruppen. Nicht zu vergessen ist, daß den Lehrenden und Lernmaterialanbietern in einer konstruktivistischen Lehrmethode eine besondere Verantwortung zukommt:

``Perhaps the key feature of a constructivist learning environment is that the student is in charge of constructing and testing his or her own understanding. This certainly does not imply `anything goes', i.e. the student can study anything and any understanding developed is adequate. It also does not imply that the student is simply tossed into a sink-or-swim condition. Rather, it means that the goal of constructivist instruction is to aid the student in gaining the capability to ask relevant questions, to generate authentic contexts for the use of the knowledge to guide the interpretation of the information, to test his or her views against alternative views, and to become aware of the knowledge construction process.''

Als didaktisches Konzept für Lernumgebungen interessieren uns speziell die ,,knowledge building communities``. Hier steht das kommunikative Handeln und kooperative Lernen in Gruppen im Vordergrund. Ein System, welches dieses Konzept beeinhaltet, ist das von entwickelte CSILE. Auf CSILEgehen wir in Abschnitt näher ein.

Aus den genannten Merkmalen des Konstruktivismus wird deutlich, daß Hypertext mit den Möglichkeiten zur individuellen Strukturierung gut zu dieser Lerntheorie paßt und am ehesten geeignet ist, das Lernmaterial zu verbinden. Wie Schulmeister bemerkt: ,,Mit dieser offenen [offen für individuelle Strukturierung und Lernstile, BL & FH] Charakteristik kommt der Programmtypus Hypertext aus dem behavioristischen Lernparadigma und aus den ,Frame-based` Lernprogrammen heraus und nähert sich Vorstellungen von einem natürlichen Lernprozeß, wie sie in der epistemologischen Kognitionstheorie formuliert worden sind.`` .

Positive Erfahrungen mit einem größeren System, INTERMEDIA, zu dem wir im letzten Abschnitt bereits eine EinschÄtzung wiedergegeben haben und auf das wir in Abschnitt noch näher eingehen, zeigen dann auch das Potential einer erfolgreichen Verbindung von pädagogisch motivierter Nutzung von Hypermedia und konstruktivistischen Konzepten .

Nach den Ergebnissen einiger von Schulmeister genannten empirischen Untersuchungen, die zeigen, daß bei hochmotivierten und leistungsstarken Studierenden die Unterrichtsmethode oder das Lernprogramm egal ist, während leistungsschwächere Studierende stärker von gelenkten Lernsituationen profitieren , können als Zielgruppe der konstruktivistischen Lerntheorie und einer WWW-basierten Lernumgebung vorerst aber nur die selbständig Lernenden angesehen werden.


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1999-08-24